Es gibt eine lange Liste von Faktoren, die uns krank machen können: Vererbung, Umwelteinflüsse, falsche Ernährung, Stress – aber was macht uns eigentlich gesund? Dieser Frage geht die Salutogeneseforschung nach.
In mehr als fünfzig Forschungsjahren haben die Wissenschaftler aufsehenerregende Entdeckungen gemacht, die ein neues Licht auf das Verhältnis von Krankheit und Gesundheit werfen und neue Wege zur Gesundheit aufzeigen.
Krankheitslehre und Gesundheitslehre – zwei Seiten einer Medaille
Die Salutogenese (nach lat. salus – Gesundheit, griech. genesis – Entstehung) wurde von ihrem Begründer, dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky, als ergänzendes Modell zur Pathogenese (nach griech. pathos, Leiden) entwickelt.
Die Pathogeneseforschung gehört zu den Grundlagen der modernen Medizin und geht der Frage nach, wie Krankheiten entstehen. Die Salutogenese untersucht dagegen, welche Faktoren zur Gesundwerdung beitragen.
Die moderne Medizin geht davon aus, dass Gesundheit der Normalzustand des Menschen ist und Krankheiten eine Abweichung davon darstellen. Die Salutogeneseforschung sieht das grundsätzlich anders: Sie beschreibt Gesundheit und Krankheit als zwei Pole einer Achse, wobei jeder Mensch irgendwo zwischen vollkommener Gesundheit und schwerer Erkrankung steht.
Gesundheit und Krankheit sind damit keine unversöhnlichen Gegensätze, die einander ausschließen, sondern bilden ein Kontinuum, in dem jeder Mensch in Teilen gleichzeitig mehr oder weniger gesund und mehr oder weniger krank ist.
Welche Faktoren tragen zur Gesundheit bei?
Bei seiner Arbeit mit ehemaligen KZ-Insassinnen stellte Antonovsky fest, dass manche Menschen wesentlich besser als andere mit Krankheiten, traumatischen Lebensereignissen und Verletzungen fertigwerden als andere.
Antonovsky forschte in statistischen Untersuchungen nach den Faktoren, die zur Gesundwerdung beitragen können. Dabei fand er heraus, dass jeder Mensch über mehr oder weniger ausgeprägte allgemeine (generalisierte) Widerstandsressourcen verfügt, die den Prozess der Gesundwerdung fördern. Dazu zählen:
- Anpassungsfähigkeit,
- soziale Beziehungen,
- Bindungen an Gemeinschaften.
Als entscheidenden Faktor der Gesundwerdung bezeichnet Antonovsky das „Kohärenzgefühl“, das sich zusammensetzt aus
- dem Vertrauen darauf, dass die Welt in gewissen Grenzen vorhersehbar, erklärbar und berechenbar ist,
- dem Vertrauen darauf, dass man in der Lage ist, Herausforderungen zu begegnen,
- dem Vertrauen darauf, dass es sich lohnt, sich anzustrengen, um Herausforderungen zu überwinden.
Diese Einstellungen verhindern, dass ein erkrankter oder durch belastende Lebensumstände traumatisierter Mensch ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber seiner Situation entwickelt, und begünstigen eine aktive Teilnahme am Prozess der Gesundwerdung.
Wie zutreffend diese Annahmen sind, wird leicht erkennbar, wenn man sich vergegenwärtigt, wie belastend plötzliche Erkrankungen oder Behinderungen für die Psyche sein können und wie hilfreich es ist, über einen stabilen Freundeskreis und gute familiäre Beziehungen zu verfügen, motiviert an seiner Behandlung mitzuwirken und ein Ziel vor Augen zu haben, für das man sich einsetzt – in der Überzeugung, dass man es erreichen kann.
Salutogenese: ein ganzheitlicher Ansatz
Die ganzheitliche Medizin sieht den Menschen nicht allein als biologisches Wesen. Sie definiert ihn als bio-psycho-soziales Wesen. Das heißt, dass Körper, Geist und soziale Beziehungen die drei Dimensionen sind, die den Menschen vollständig beschreiben.
Wer sein Augenmerk allein auf körperliche Vorgänge richtet, ignoriert diese Tatsache. Schon Hippokrates, der berühmte griechische Arzt der Antike, forderte, dass man nicht nur den Körper, sondern auch den Geist behandeln müsse, wenn ein Mensch gesund werden soll.
Antonovskys Salutogenesekonzept zeigt, wie diese drei Dimensionen zusammenwirken, um Krankheit oder Gesundheit entstehen zu lassen. Für eine ganzheitliche Medizin, die den Menschen in allen seinen Dimensionen berücksichtigt, ist es daher grundlegend.
In einem kurzen Artikel wie diesem kann das komplexe Thema „Salutogenese“ allenfalls angerissen werden. Inzwischen gibt es eine Fülle von Büchern und Zeitschriften, die sich mit dem Salutogenesemodell beschäftigen und zeigen, wie jeder es für sich nutzen kann. Wir haben Ihnen eine kleine Literaturliste zusammengestellt, die weiterführende Informationen zum Thema bietet.
Literaturhinweise:
- Theodor Dierk Petzold: Praxisbuch Salutogenese – Warum Gesundheit ansteckend ist, Südwest Verlag 2010, 208 Seiten
- Eckhard Schiffer: Wie Gesundheit entsteht. Salutogenese: Schatzsuche statt Fehlerfahndung, Beltz Verlag, 2. Auflage 2011, 184 Seiten
und speziell zum Thema Burnout:
- Fritz Helmut Hemmerich: Wendepunkt Burnout. Anleitungen für die Praxis – Das Salutogenese-Konzept, Maro Verlag 2011, 400 Seiten